Verlorener Groschen

Das Gleichnis von der verlorenen Drachme (Domenico Fetti, Gemäldegalerie, Dresden)

Das Gleichnis von der verlorenen Drachme, in der Tradition der Lutherbibel auch Gleichnis vom verlorenen Groschen genannt (Lukas 15,8–10 LUT), ist ein Gleichnis Jesu, das sich ausschließlich im Evangelium nach Lukas findet und zum lukanischen Sondergut gehört.

Kontext

Einleitend berichtet der Evangelist Lukas von der Rahmensituation: Die Pharisäer und Schriftgelehrten nehmen daran Anstoß, dass Jesus mit Zöllnern (die als Betrüger gelten) und anderen Sündern Gemeinschaft hat und mit ihnen isst. Daraufhin erzählt Jesus ihnen drei Gleichnisse, in denen es jeweils um das Motiv des Verlorenen geht: in Vv. 4–7 das Gleichnis vom verlorenen Schaf, in Vv. 8–10 das Gleichnis vom verlorenen Groschen und in Vv. 11–32 das Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Das Gleichnis

Der Text lautet:

8 Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie die Drachme findet? 9 Und wenn sie diese gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte! 10 Ebenso, sage ich euch, herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.“

Lukas 15,8–10 (Einheitsübersetzung 2016)

Interpretation

Im Fokus steht die unermüdliche Suche der Hauptfigur und ihre anschließende Freude über den Fund des verlorenen Geldstücks. Genauso wird sich Gott über einen Sünder freuen, der seinen falschen Weg verlässt und zu ihm zurückkehrt. Obwohl hier die Frau die einzige handelnde Figur ist, wird das Gleichnis ähnlich wie die anderen beiden Gleichnisse vom Verlorenen oft als Aufruf zur Umkehr gedeutet, auch weil der Text diese Deutung ausdrücklich nahelegt. Doch wird in diesem Gleichnis stärker als in den Parallelgleichnissen deutlich, dass das Wiederfinden allein von Gott ausgeht: Die Münze ist völlig passiv und kann nichts zu ihrem Gefundenwerden beitragen, sie verdankt es nur dem geduldigen und ausdauernden Suchen der Eigentümerin.[1]

Die Betonung der beharrlichen Suche der Frau nach der verlorenen Münze hat manche Kommentatoren bewogen, für die Bezeichnung „Gleichnis von der suchenden Frau“ zu plädieren.[2] Sie zeigt Gott als jemanden, der sich intensiv um den verlorenen Menschen bemüht und ihn mit allen Mitteln zurückgewinnen will. Da Jesus durch dieses Gleichnis sein eigenes Handeln gegenüber sozial ausgegrenzten „Verlorenen“ seiner Gesellschaft erläutert, hebt er damit auch den Wert hervor, den er diesen Menschen beimisst und den jeder Mensch für Gott besitzt.[3]

Aus dem Kontext ergibt sich, dass Jesus alle drei Gleichnisse den Pharisäern und Schriftgelehrten erzählt, nachdem diese daran Anstoß genommen haben, dass er mit Sündern Gemeinschaft hatte (15,1–3 EU). Wie in den anderen lukanischen Gleichnisversionen tauchen auch hier Dritte auf, die sich mit der Frau über das Wiedergefundene mitfreuen. Die Frage ist also auch, ob dritte Beobachter sich über die Rückkehr des Verlorenen freuen und damit Teil des Himmelreichs werden, von dem das Gleichnis spricht, oder ob sie sich dieser Freude gegenüber verschließen und dadurch vom Gottesreich ausschließen.[4]

Auffällig ist schließlich auch die Tatsache, dass in diesem Gleichnis eine weibliche Protagonistin problemlos für Gott stehen kann.[5]

Weblinks

Commons: Verlorener Groschen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Charles Spurgeon: Der verlorene Groschen. Predigt eines englischen Baptistenprediger des 19. Jahrhunderts zum Gleichnistext; abgerufen am 8. Dezember 2016
  • Gerd Theißen: Predigt über die Gleichnisse vom Verlorenen in der Peterskirche Heidelberg vom 28. Juni 2009; abgerufen am 7. Dezember 2016

Einzelnachweise

  1. Hans Klein: Das Lukasevangelium. Göttingen 2006, S. 519.
  2. Robert H. Stein: Luke (= The New American Commentary. Bd. 24). Broadman & Holman Publishers, Nashville 1992, S. 404.
  3. Frédéric Godet: Kommentar zu dem Evangelium des Lukas. Brunnen, Gießen 1986 (= 2. Aufl., Hannover: Meyer, 1890), S. 422.
  4. Wolfgang Wiefel: Das Evangelium nach Lukas (= ThHNT. Bd. 3). Evangelische Verlagsanstalt, Berlin 1988, ISBN 978-3-374-00040-1, S. 279 ff.
  5. So Christa Mulack: Die Weiblichkeit Gottes (1983). Referiert von Jan Rohls: Protestantische Theologie der Neuzeit. Band II: Das 20. Jahrhundert. Mohr Siebeck, Tübingen 1997, S. 796.

Gleichnisse in den synoptischen Evangelien:
Gleichnisse im engeren Sinn: Großes Abendmahl | Arbeiter im Weinberg | Bittender Freund | Blindensturz | Dieb in der Nacht | Ehrenplätze bei der Hochzeit | Feigenbaum | Feigenbaum ohne Früchte | Fischnetz | Haus auf Felsen und auf Sand gebaut | Herr und Knecht | Kluge und törichte Jungfrauen | Kostbare Perle | Licht unter dem Scheffel | Nadelöhr und Kamel | Neue Flicken auf dem alten Kleid | Neuer Wein in alten Schläuchen | Selbstwachsende Saat | Schatz im Acker | Pharisäer und Zöllner | Reicher Kornbauer | Spielende Kinder | Anvertraute Talente | Treuer Haushalter | Ungleiche Söhne | Ungerechter Richter | Ungerechter Haushalter | Unkraut unter dem Weizen | Böse Weingärtner | Sauerteig | Schalksknecht | Senfkorn | Turmbau und Kriegführen | Verlorener Groschen | Verlorenes Schaf | Verlorener Sohn | Vierfaches Ackerfeld | Wachsame Knechte | Zwei Schuldner
Weitere Bildreden und Beispielerzählungen: Barmherziger Samariter | Henne und Küken | Reicher Mann und armer Lazarus | Salz der Erde | Weltgericht

Bildreden bei Johannes:
Ich-bin-Worte: Ich bin das Brot des Lebens | Ich bin das Licht der Welt | Ich bin die Tür | Ich bin der gute Hirte | Ich bin die Auferstehung und das Leben | Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben | Ich bin der wahre Weinstock
Weitere Bildreden: Vom Weizenkorn | Die gebärende Frau

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